theminigolffamily

Eine moderne Soap-Opera um eine junge Großstadtfamilie, die sich ganz und gar einer elitären und unterschätzten Sportart verschrieben hat. Rund um den Lebensmittelpunkt Minigolf erleben die vier Hauptcharaktere Vater, Mutter, Tochter und Sohn den ganz normalen Wahnsinn des 21. Jahrhunderts.


Donnerstag, 15. Mai 2008

1.5 Im Biberwahn

Ort: Berlin, Zoologischer Garten
Zeit: Montag, 19. November 2007, ca. 16.00 Uhr

Nach wochenlangem, knochenhartem Training hat sich das Minigolfkombinat auf den Weg zu einem außergewöhnlichen Turnier nach Berlin gemacht. Im Zoologischen Garten, genauer gesagt im großzügig angelegten Wildgehege, findet hier die alljährliche Herbstmeisterschaft im Crossover-Nature-Minigolf Kategorie Speziell-Spezial statt. Seit Jahren schon ist es der Wunsch aller Familienmitglieder gewesen, einmal im Leben an diesem legendären Turnier teilzunehmen. Pünktlich, eine halbe Stunde vor Spielbeginn, treffen sich die Eltern (aufgrund von Molles krankhafter Flugangst sind sie mit dem Zug angereist) mit Klaschenka und Kolja (die natürlich den Luftweg vorgezogen haben) am Eingang Ost zum Wildtierpark. Als die Kinder auf das Gehege zusteuern, sieht man Irina bereits aus einiger Entfernung in angeregter Unterhaltung mit einem prächtigen Zehnender. Ganz offensichtlich ist sie voller Bewunderung für den gleichmäßig gewachsenen Kopfschmuck des jungen Damhirsches. Molle ist nirgendwo zu sehen.
"Mama, na? Schon wieder neidisch?" Klaschenka stürmt auf die Mutter zu und drückt ihr einen Kuss auf die Wange. "Wie war die Fahrt? Siehst ein bisschen fertig aus. Wo isn der Papa?" Irina dreht sich um, schaut nach allen Himmelsrichtungen und zuckt schließlich wortlos mit den Schultern. Sie scheint irritiert und gleichzeitig in ihrem Gespräch mit dem Hirsch gestört. "Schau halt ein bisschen rum. Er wird schon wieder kommen, gerade hab ich ihn noch irgendwo husten gehört." Klaschenka lässt die Mutter stehen (Kolja bleibt wortlos an Irinas Seite und lauscht ihrem Wildtiergespräch) und schlendert in Richtung Affenhaus. Wo sonst könnte der Vater hingegangen sein, wenn nicht zu den Affen. Immerhin hat er Boris zuhause versprochen, ein paar Fotos von den Schimpansenweibchen zu machen (möglichst in aufreizender Pose) - als Entschädigung sozusagen, weil der Teambetreuer wieder einmal wegen dem Medizinstudium nicht mitkommen konnte. Doch bei den Affen ist Molle nicht zu finden. Klaschenka dreht um und beschließt bei den anderen am ausgemachten Treffpunkt auf den Vater zu warten. In Gedanken versunken geht sie den Weg zum Wildpark zurück, als plötzlich ein Rascheln im Gebüsch zu vernehmen ist. Klaschenka bleibt stehen und starrt in... was steht auf dem Schild? ...starrt in das Bibergehege. Am Rand eines kleinen, künstlich angelegten Baches zwischen zwei Haselnussbäumchen sitzt Molle und nagt an einem großen Stück Holz. Klaschenka reibt sich die Augen: Der Vater hockt auf dem feuchten Erdboden und nagt an einem großen Stück Holz. "Njamnjam. Dddddbbbbbbbrrt. Njamnjam." Molle scheint keine Notiz von seiner Tochter zu nehmen. "Papa? Sag einmal, Papa was ist mit Dir? Was zum Teufel treibst Du da drinnen?" Klaschenka ist fassungslos. Bevor sie ein weiteres Wort sagen kann, zieht sie ihren Flachmann aus der Tasche hervor und nimmt einen kräftigen Schluck Vodka. "Paapaa?!" Molle dreht sich langsam zu Klaschenka um, weiterhin das Holz in den Händen. "Ach du Scheiße! Schhhhheiiiiße!" Klaschenkas Beine geben nach und sie sinkt auf die Knie. Der Anblick des Vaters ist tatsächlich unbeschreiblich. Mit aufgeschwollenen Lippen, mysteriösem Haarwuchs auf Gesicht und Armen und kiloweise Sägespähnen an der Kleidung lächelt Molle (weiterhin am Holz knabbernd) seiner Tochter entgegen. "Fuck, was ist mit dir passiert?" Klaschenka glaubt zu träumen, hysterisch kneift sie sich selbst immer und immer wieder in den rechten Oberarm. "Ich hab einen Biber geküsst! Hi-hi. Hi-hi. Njamnjam. Die Biber sind verrückt! Die haben mich gekidnappt, dabei wollte ich nur ein Feuerzeug ausleihen." Molle kriecht auf allen vieren in Klaschenkas Richtung. In diesem Moment kommen auch Irina und Kolja angerannt. "Kinners, es geht gleich los, wir müssen an den Start! Die machen gleich bei den Hirschen auf, wir müssen spielen", Irina schreit aufgeregt - noch einige Meter von Molle und Klaschenka entfernt. Im nächsten Moment - Mutter und Sohn haben das Bibergehege noch gar nicht erreicht - sinken auch sie zu Boden. "Bam, oida!" Irina ringt um Luft, Kolja beginnt zu weinen und trommelt mit Armen und Beinen wie wahnsinnig auf den Zoo-Spazierweg "Der wilde Pfad",auf dem er zu liegen gekommen ist, ein. Während alle fassungslos sind und ihren Augen nicht trauen, scheint Molle völlig unaufgeregt mit seiner seltsamen Situation im Reinen zu sein. "Die Biber sind verrückt, aber so lieb. Das Mädchen da (zeigt auf ein braunes, haariges Etwas, das in einigem Abstand zu ihm auf einem nassen Stein sitzt) hat mir ein Bussi gegeben. Ein Bussi, Bussi, Biberbussi. Es hat ein bisschen weh getan wegen den Zähnen, aber die Kleine hat es nett gemeint." Molle grinst und wirft sein Holz beiseite. "Was ist mit dir geschehen? Du hast überall Haare und deine Lippen, scheiße, ey, ich packs nicht. Oida, du frisst Holz?!" Ich glaub, Du warst zu lang im Soli... Fuck!" Irina pöbelt in Richtung Molle. "Komm aus dem Scheiß-Käfig raus. Wie bist Du überhaupt da hinein geraten? Ich hab gedacht, Du gehst die blöden Affen fotografieren? Oida, bam. Baaaaam!" Irina schreit so laut, dass ihre Stimme versagt. Kraftlos bleibt sie auf dem Boden sitzen und schlägt sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. Klaschenka und Kolja rühren sich nicht und starren ungläubig auf den Vater, als dieser anfängt mit den Schneidezähnen (die offenbar innerhalb der letzten fünf Minuten um einige Zentimeter gewachsen sind) den Maschendrahtzaun des Geheges aufzubeißen. Mit einigen wenigen eleganten Bissen zerteilt er das drahtige Geflecht, steckt den Kopf durch ein Wassermelonen-großes Loch und zwängt sich durch den Zaun. Dann krabbelt er auf den Knien - flink wie ein Wiesel (ja, wie ein Wiesel) - auf Klaschenka zu, die knapp vor dem Bibergehege kauert und setzt sich neben sie. "Meine liebe Tochter, die Biber sind verrückt, aber sie sind auch lieb. Schau... schau, das Mädchen da drüben (zeigt auf einen leeren nassen Steinbrocken am Ufer des künstlich angelegten Bächleins) hat mich..." Klaschenka kann die Situation nicht mehr ertragen und schlägt dem Vater mit dem Flachmann gegen die aufgequollenen Lippen mitten ins Gesicht. Molle verstummt, Mutter und Sohn hocken apathisch auf dem Spazierweg.

Rückblende:
5. August, nachmittags in Vienna Minigolf City: Irina ist gerade aus einer dunklen Spelunke geflüchtet und torkelt betrunken durch die Stadt. Als sie gerade erschöpft von ihren odyseehaften Spaziergängen (wenn man so will) auf einem Supermarktparkplatz hinter einer Altpapiertonne zu Boden sinkt, hört sie plötzlich eine vertraute Stimme. "Ich Dir iberall gesucht. Den ganzen weiten Weg bin ich gelauft. Endlich ich Dir gefunden, meine kleiner Süße." Irina blickt auf und erkennt im gleißenden Sonnenlicht eine Bekanntschaft aus der letzten Nacht: Es ist der Boogie-Woogie-Mann. Seine Lackschuhe glänzen unter einer dünnen Schicht Staub und zum ersten Mal erkennt sie die wunderbare Qualität und Verarbeitung seines italienischen (?) Maßanzugs. Er beugt sich zu Irina hinunter und packt sie am Arm. "Komme, meine kleiner Süße, alles wird werden gut jetzt du bei mir." Irina steht auf, hakt sich bei dem immer noch Fremden unter und versucht fieberhaft, ihre Erinnerungslücken zu schließen. Immerhin, sie kann sich entsinnen, diesem Mann in den vergangenen 24 Stunden begegnet zu sein. Wortlos schlendern die beiden über den Parkplatz, gelangen auf eine Straße und setzen sich schließlich in das Wartehäuschen einer Busstation. "Ich Dir jetzt zeigen meiner Freunde. Und ich dir geben besonderes Geschenk, Du nicht vergessen im Leben nie." Irina leht den Kopf an Boogie-Woogie-Manns Schultern, schließt die Augen und schlummert ein.

Zurück in Berlin:
"Ich lass mich scheiden!" Irina brüllt Molle an, der immer noch neben der Tochter hockt, und schleudert einen ihrer Schuhe in seine Richtung. "Ich wollts Dir nicht sagen, aber jetzt kann ich nicht mehr. Ich hab genug von Deinen Spinnereien - Biber?! What the hell..." Klaschenka dreht sich zur Mutter um, während Molle weiterhin stumm dasitzt und sich nicht weiter zu wundern scheint. "Was wolltest Du ihm nicht sagen?" Irina wendet sich der Tochter zu und spricht in ruhigem, aber bestimmtem Ton: "Erik hat mir einen Antrag gemacht. Erik hat ziemlich viel Kohle, das weiß ich, weil ich ne Zeit lang bei ihm gepennt hab... damals. Eigentlich liebe ich ihn nicht, ich liebe jemand anderen. Natürlich nicht Deinen Vater, aber ich liebe jemanden. Erik nicht. Aber Erik hat mir einen Antrag gemacht und jetzt werde ich ihn doch annehmen." Klaschenka versteht die Welt nicht mehr. Wovon redet die Mutter? "Wer ist Erik?" Klaschenka fixiert die Mutter mit eisernem Blick. Irina scheint innerlich gegen etwas anzukämpfen, es dauert einige Minuten, schließlich richtet sie sich auf, zupft sich nervös die Haare zurecht und sagt: "Lackschuhe." Dann nichts mehr. Keiner der vier spricht, niemand bewegt sich. Die Luft scheint zu brennen. Molle ähnelt immer mehr einem Biber als einem Menschen, Kolja und Klaschenka sitzen wie zwei Häufchen Elend auf einem öffentlichen Spazierweg im Berliner Zoo und wissen nicht mehr weiter. Irina beschließt, kein weiteres Wort zu verlieren - ihre Entscheidung steht fest . Mit verachtenden Blicken mustert sie ihren Noch-Ehemann, denkt zurück an jene Nacht, in der sie an der Schulter des Boogie-Woogie-Manns eingeschlafen ist, denkt an die Erlebnisse der darauffolgenden Wochen und beginnt leicht mit den Füßen auf den Boden zu trippeln. Aus einiger Entfernung ertönt ein schrilles Hupen - das Hirschgehge wird geöffnet. D
ie alljährliche Herbstmeisterschaft im Crossover-Nature-Minigolf Kategorie Speziell-Spezial beginnt. Das Minigolfkombinat wird nicht dabei sein.

Was ist mit Molle geschehen, was hat es mit den Bibern auf sich? Was ist zwischen dem Boogie-Woogie-Mann (Erik, wie jetzt bekannt ist) und Irina vorgefallen und welches unvergessliche Geschenk hat er ihr gemacht? Wie wird es im Berliner Zoo weitergehen, kann die Familie all diese mysteriösen Ereignisse verarbeiten und bewältigen? Bringt Boogie-Woogie am Ende böses Blut in die Minigolfharmonie? Das und eine Reihe anderer irrsinniger Fragen wird vielleicht beantwortet, wenn es wieder heißt: The Minigolf Family.

1 Kommentar:

tartex hat gesagt…

Sehr gut und spannend! Tritt dem Naturalismus in die Eier! Und auch die Rückblende freut und überhaupt wollen wir mehr Tuniere an exotischen Locations und auch ernsthafte Antagonisten!

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