theminigolffamily

Eine moderne Soap-Opera um eine junge Großstadtfamilie, die sich ganz und gar einer elitären und unterschätzten Sportart verschrieben hat. Rund um den Lebensmittelpunkt Minigolf erleben die vier Hauptcharaktere Vater, Mutter, Tochter und Sohn den ganz normalen Wahnsinn des 21. Jahrhunderts.


Freitag, 30. Mai 2008

1.6 Der goldene Schuss

Ort: Berlin, Zoologischer Garten
Zeit: Dienstag, 20. November 2007, 02.20 Uhr

Seit mehreren Stunden sitzen, hocken, liegen und kriechen die Familienmitglieder wortlos vor dem Bibergehege im Berliner Zoo. In einiger Entfernung, im Wildtierpark, hat vor wenigen Minuten der letzte feiernde Gast die Aftershowparty der
alljährlichen Herbstmeisterschaft im Crossover-Nature-Minigolf Kategorie Speziell-Spezial verlassen und ist sturzbetrunken nach Hause getorkelt. Ohne das Beisein des Minigolfkombinats, das aufgrund der erschreckenden Ereignisse (insbesondere ist damit Molles seltsame animalische Verwandlung gemeint) nicht am Turnier teilgenehmen konnte, hat sich um ca. Mitternacht das schwedische Amateurteam "Molger" aus Uppsala in der Endrunde gegen den norditalienischen Verein "Farfalla" durchgesetzt und den Sieg eingefahren. Doch davon haben die Familienmitglieder nur wenig mitbekommen, zu tief saß und sitzt der Schock, zu viel Alkohol hat sich in das Blut der vier gemischt. Seit Stunden ist kein Wort mehr gefallen, die Situation scheint wie ein surreales Fernsehstandbild eingefroren. Ein Ausweg ist nicht in Sicht.
Nach einem kurzen Nickerchen rappelt sich gegen halb drei Uhr morgens Klaschenka schließlich ein wenig hoch und wirft einen Blick auf den Vater. Molle ist inzwischen völlig zu einem übergroßen Biber mutiert und nagt im Halbschlaf an einem kleinen kargen Ästchen. Neben ihm, in einiger Entfernung, sitzt ein kleines Bibermädchen (jenes wohl, von dem Molle zuvor so geschwärmt hatte) und blickt ihn in verträumt an. "Papa, Papa? Ich kann nicht mehr. Der Vodka ist leer und ich... es tut mir leid, das ist zu krass. Ich muss hier weg." Klaschenka wartet auf eine Reaktion des Vaters, doch dieser scheint die Worte seiner Tochter überhaupt nicht wahrzunehmen. Nach und nach kommt auch wieder etwas Leben in Mutter und Sohn. Irina steht auf und tritt an Molle heran, Kolja krabbelt auf allenVieren zu seiner Schwester und klammert sich an ihren Rücken. "Kinder, ich glaube, euer Vater ist verloren. Seht ihn euch an. Es gibt nichts, was wir noch für ihn tun können. Ich lass mich scheiden. Ich lass mich scheiden!" Irinas Entschluss scheint in Stein gemeißelt, aber eigentlich kümmert das zu diesem Zeitpunkt niemanden. "Was sollen wir machen? Ich bin sehr müde, ich möchte nach Hause, aber was sollen wir mit Papa nur machen? Er reagiert nicht mehr auf uns, sollen wir ihn einfach hier zurücklassen?" Klaschenka schaut erwartungsvoll und hilflos in die Augen der Mutter. "Ich weiß es nicht. Aber ich sag dir was: Ich scheiß drauf!" Irina brüllt auf Molle hinunter, der vor ihren Füßen liegt und sich weiterhin nicht rührt. Dann herrscht wieder minutenlange Stille. "Die wichtigste Frage ist doch - was wird aus dem Kombinat?!" Kolja überrascht plötzlich mit einer abgeklärten und ungewohnt harten Frage. Irina und Klaschenka schauen ihn vorwurfsvoll an, keine der beiden kann nachvollziehen, wie der Bua (so nennen ihn die anderen Familienmitglieder hinter seinem Rücken, wenn sie sich über ihn lustig machen - insbesondere über seine kindlichen und kaufsüchtigen Charakterzüge) in so einem Augenblick derart kaltherzige Aussagen treffen kann. Klaschenka scheint besonders angewidert von Koljas Frage, schüttelt sich und stößt ihn von sich weg. Irritiert ringt er mit dem Gleichgewicht, springt mit einem Satz hoch und tritt ebenfalls an Molle heran, der - herrjeh keine Überraschung - weiterhin reaktionslos auf dem Boden liegt und im Halbschlaf sein Holz kaut.
"Ich weiß die Lösung", brüllt Kolja plötzlich, tritt dem Vater mit dem Fuß auf dessen wundersam gewachsenen buschigen Biberschwanz und funkelt Mutter und Schwester mit blitzenden Augen an. "Wir holen den Alten jetzt aus seinem verfluchten Schlummerschläfchen, gehen da rauf (zeigt mit dem Arm in Richtung Wildtiergehege) und spielen. Verliert dieser Freak gegen einen von uns, ist er raus. Wir lassen ihn hier zurück und werden das Team neu organisieren. Ende der Durchsage!" Selbstzufrieden stützt sich Kolja die Arme in die Seite und schaut die anderen erwartungsvoll an. "Ok, abgemacht. Schluss mit der Freakshow, Schluss mit den Mätzchen. Der alte Sack hats zu weit getrieben, schaut, wo wir gelandet sind. Ich lass mich scheiden." Irina ist offenbar von der Idee angetan. Klaschenka wendet sich besorgt zum Vater hin, mustert seine traurige Erscheinung und nickt schließlich wortlos.
Mit einiger Anstrengung gelingt es den dreien, Molle aus seinem Schlaf zu wecken. Nachdem Irina ihm schließlich sein Ästchen entrissen hat, unterbreitet Kolja dem Vater seinen Vorschlag. Molle, der zwar nicht ganz zu verstehen scheint, aber doch den Ultimatum-Charakter von Koljas Plan begreift, stimmt zu und setzt sich langsam mit den anderen in Richtung Minigolfanlage im Wildtiergehege in Gang. Einige Meter hinterher, im Schutz der Dunkelheit folgt auch das kleine Bibermädchen. Geleitet vom November-Mondlicht dauert es nicht lange und die Familie erreicht die erste Bahn. Noch-Teamchef Molle soll wie üblich beginnen und setzt zum ersten Abschlag an. Unbeholfen und noch etwas unkoordiniert aufgrund seiner neuen physiologischen Beschaffenheit misslingt der Schlag natürlich. Molle pfeffert den Ball weit am eigentlichen Ziel vorbei, hinaus in das Dunkel, wo hinter lächerlich niedrigen Zäunen die Hirschfamilien schlafen. Kolja grinst, wirft einen fast teuflischen Blick in die Runde und legt siegessicher einen Traumstart hin. Irina und Klaschenka spielen halbherzig mittelmäßig, bleiben aber dennoch vor dem mit sich kämpfenden Vater voran. Bis knapp über die Hälfte der Spielzeit ändert sich wenig: Kolja liegt deutlich voran, Molle versucht mit Mühe zumindest seinen Biberschwanz aus dem Weg zu räumen und sich nicht ständig selbst mit dem Schläger eins auszuwischen. Nach einem weiteren Katastrophenschlag verliert er schließlich die Nerven, schleudert Ball und Schläger ins Dickicht und setzt sich entkräftet neben der 13. Bahn auf den Boden. "Feigling! Freak! Spiel! Spiel das Ding zu Ende!" Kolja entfremdet sich immer mehr von seiner sonst so zurückhaltenden, eingeschüchterten Art. "Wenn ich hier heute gegen dich gewinne, dann wird es ein ehrenvoller Sieg sein. Ein Sieg unter Männern!" Doch Molle kann nicht mehr, wimmert und bibbernd hockt er auf der Erde und will aufgeben. Da platzt der Sohn vollends, nimmt Schläger und Ball zur Hand, stellt sich zur Abschlagmarkierung und zielt...
"Und zaaaaaaaaaaack!" Kolja brüllt. Punktgenau und mit einer Wucht, die einen Stier niederstrecken könnte, trifft der Ball den Vater auf den Kopf - genau zwischen die fellumwachsenen Augen. Molle stößt ein trillerndes "Iiiiinnnng" aus, kippt nach hinten und bleibt ausgestreckt liegen. Die anderen (auch Kolja scheint überrascht und sorgenvoll) eilen zu ihm hin, schauen auf den Vater hinunter und entdecken ein wohlgeformtes Loch auf seiner Stirn, aus dem wasserfallartig dunkles Blut fließt. "Möööööörder!" Klaschenka schreit und schlägt mit beiden Fäusten auf den Bruder ein. Irina verzieht das Gesicht und wendet sich von Molle ab. "Mein Sohn, das war ein Treffer. Ein goldener Schlag." Verwundert über die eigenen Worte fast sich die Mutter an den Kopf und versucht sich offenbar den Schmerz eines solchen Einschlagloches vorzustellen. "Mööööörder! Du hast ihn umgebracht! Du hast den Papa umgebracht!" Klaschenka scheint kurz davor durchzudrehen und brüllt so laut, bis ihre Stimme versagt. Dann wirft sie sich wortlos zu Boden, mitten in das frische Blut, das unaufhaltsam aus Molles behaarter Stirn fließt. Kolja steht reglos da, unfähig das Ausmaß seiner Tat zu begreifen und sinkt schließlich auch auf die Knie.
Es ist totenstill, keines der Familienmitglieder bewegt sich. Die Blutlache weitet sich aus und ergießt sich über die 13. Bahn. Aus einiger Entfernung hört man ein trauriges Wimmern. Es ist das Bibermädchen, das versteckt hinter einem kleinen Strauch dem Treiben die ganze Zeit über zugesehen hat.

Ist das wirklich Molles Ende? Hat Kolja einen Vatermord begangen oder kann deus ex machina noch einmal den Tod abwenden? Warum können Schweden so gut minigolfen und haben sie am Ende gar den Boogie-Woogie ins Spiel gebracht? Wird Irina tatsächlich Erik den Lackschuhmann heiraten und wie kann Klaschenka Kolja jemals den Anschlag auf den Vater verzeihen? Diesen Fragen wird auf den Grund gegangen, wenn es wieder Zeit ist für: The Minigolf Family


Donnerstag, 15. Mai 2008

1.5 Im Biberwahn

Ort: Berlin, Zoologischer Garten
Zeit: Montag, 19. November 2007, ca. 16.00 Uhr

Nach wochenlangem, knochenhartem Training hat sich das Minigolfkombinat auf den Weg zu einem außergewöhnlichen Turnier nach Berlin gemacht. Im Zoologischen Garten, genauer gesagt im großzügig angelegten Wildgehege, findet hier die alljährliche Herbstmeisterschaft im Crossover-Nature-Minigolf Kategorie Speziell-Spezial statt. Seit Jahren schon ist es der Wunsch aller Familienmitglieder gewesen, einmal im Leben an diesem legendären Turnier teilzunehmen. Pünktlich, eine halbe Stunde vor Spielbeginn, treffen sich die Eltern (aufgrund von Molles krankhafter Flugangst sind sie mit dem Zug angereist) mit Klaschenka und Kolja (die natürlich den Luftweg vorgezogen haben) am Eingang Ost zum Wildtierpark. Als die Kinder auf das Gehege zusteuern, sieht man Irina bereits aus einiger Entfernung in angeregter Unterhaltung mit einem prächtigen Zehnender. Ganz offensichtlich ist sie voller Bewunderung für den gleichmäßig gewachsenen Kopfschmuck des jungen Damhirsches. Molle ist nirgendwo zu sehen.
"Mama, na? Schon wieder neidisch?" Klaschenka stürmt auf die Mutter zu und drückt ihr einen Kuss auf die Wange. "Wie war die Fahrt? Siehst ein bisschen fertig aus. Wo isn der Papa?" Irina dreht sich um, schaut nach allen Himmelsrichtungen und zuckt schließlich wortlos mit den Schultern. Sie scheint irritiert und gleichzeitig in ihrem Gespräch mit dem Hirsch gestört. "Schau halt ein bisschen rum. Er wird schon wieder kommen, gerade hab ich ihn noch irgendwo husten gehört." Klaschenka lässt die Mutter stehen (Kolja bleibt wortlos an Irinas Seite und lauscht ihrem Wildtiergespräch) und schlendert in Richtung Affenhaus. Wo sonst könnte der Vater hingegangen sein, wenn nicht zu den Affen. Immerhin hat er Boris zuhause versprochen, ein paar Fotos von den Schimpansenweibchen zu machen (möglichst in aufreizender Pose) - als Entschädigung sozusagen, weil der Teambetreuer wieder einmal wegen dem Medizinstudium nicht mitkommen konnte. Doch bei den Affen ist Molle nicht zu finden. Klaschenka dreht um und beschließt bei den anderen am ausgemachten Treffpunkt auf den Vater zu warten. In Gedanken versunken geht sie den Weg zum Wildpark zurück, als plötzlich ein Rascheln im Gebüsch zu vernehmen ist. Klaschenka bleibt stehen und starrt in... was steht auf dem Schild? ...starrt in das Bibergehege. Am Rand eines kleinen, künstlich angelegten Baches zwischen zwei Haselnussbäumchen sitzt Molle und nagt an einem großen Stück Holz. Klaschenka reibt sich die Augen: Der Vater hockt auf dem feuchten Erdboden und nagt an einem großen Stück Holz. "Njamnjam. Dddddbbbbbbbrrt. Njamnjam." Molle scheint keine Notiz von seiner Tochter zu nehmen. "Papa? Sag einmal, Papa was ist mit Dir? Was zum Teufel treibst Du da drinnen?" Klaschenka ist fassungslos. Bevor sie ein weiteres Wort sagen kann, zieht sie ihren Flachmann aus der Tasche hervor und nimmt einen kräftigen Schluck Vodka. "Paapaa?!" Molle dreht sich langsam zu Klaschenka um, weiterhin das Holz in den Händen. "Ach du Scheiße! Schhhhheiiiiße!" Klaschenkas Beine geben nach und sie sinkt auf die Knie. Der Anblick des Vaters ist tatsächlich unbeschreiblich. Mit aufgeschwollenen Lippen, mysteriösem Haarwuchs auf Gesicht und Armen und kiloweise Sägespähnen an der Kleidung lächelt Molle (weiterhin am Holz knabbernd) seiner Tochter entgegen. "Fuck, was ist mit dir passiert?" Klaschenka glaubt zu träumen, hysterisch kneift sie sich selbst immer und immer wieder in den rechten Oberarm. "Ich hab einen Biber geküsst! Hi-hi. Hi-hi. Njamnjam. Die Biber sind verrückt! Die haben mich gekidnappt, dabei wollte ich nur ein Feuerzeug ausleihen." Molle kriecht auf allen vieren in Klaschenkas Richtung. In diesem Moment kommen auch Irina und Kolja angerannt. "Kinners, es geht gleich los, wir müssen an den Start! Die machen gleich bei den Hirschen auf, wir müssen spielen", Irina schreit aufgeregt - noch einige Meter von Molle und Klaschenka entfernt. Im nächsten Moment - Mutter und Sohn haben das Bibergehege noch gar nicht erreicht - sinken auch sie zu Boden. "Bam, oida!" Irina ringt um Luft, Kolja beginnt zu weinen und trommelt mit Armen und Beinen wie wahnsinnig auf den Zoo-Spazierweg "Der wilde Pfad",auf dem er zu liegen gekommen ist, ein. Während alle fassungslos sind und ihren Augen nicht trauen, scheint Molle völlig unaufgeregt mit seiner seltsamen Situation im Reinen zu sein. "Die Biber sind verrückt, aber so lieb. Das Mädchen da (zeigt auf ein braunes, haariges Etwas, das in einigem Abstand zu ihm auf einem nassen Stein sitzt) hat mir ein Bussi gegeben. Ein Bussi, Bussi, Biberbussi. Es hat ein bisschen weh getan wegen den Zähnen, aber die Kleine hat es nett gemeint." Molle grinst und wirft sein Holz beiseite. "Was ist mit dir geschehen? Du hast überall Haare und deine Lippen, scheiße, ey, ich packs nicht. Oida, du frisst Holz?!" Ich glaub, Du warst zu lang im Soli... Fuck!" Irina pöbelt in Richtung Molle. "Komm aus dem Scheiß-Käfig raus. Wie bist Du überhaupt da hinein geraten? Ich hab gedacht, Du gehst die blöden Affen fotografieren? Oida, bam. Baaaaam!" Irina schreit so laut, dass ihre Stimme versagt. Kraftlos bleibt sie auf dem Boden sitzen und schlägt sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. Klaschenka und Kolja rühren sich nicht und starren ungläubig auf den Vater, als dieser anfängt mit den Schneidezähnen (die offenbar innerhalb der letzten fünf Minuten um einige Zentimeter gewachsen sind) den Maschendrahtzaun des Geheges aufzubeißen. Mit einigen wenigen eleganten Bissen zerteilt er das drahtige Geflecht, steckt den Kopf durch ein Wassermelonen-großes Loch und zwängt sich durch den Zaun. Dann krabbelt er auf den Knien - flink wie ein Wiesel (ja, wie ein Wiesel) - auf Klaschenka zu, die knapp vor dem Bibergehege kauert und setzt sich neben sie. "Meine liebe Tochter, die Biber sind verrückt, aber sie sind auch lieb. Schau... schau, das Mädchen da drüben (zeigt auf einen leeren nassen Steinbrocken am Ufer des künstlich angelegten Bächleins) hat mich..." Klaschenka kann die Situation nicht mehr ertragen und schlägt dem Vater mit dem Flachmann gegen die aufgequollenen Lippen mitten ins Gesicht. Molle verstummt, Mutter und Sohn hocken apathisch auf dem Spazierweg.

Rückblende:
5. August, nachmittags in Vienna Minigolf City: Irina ist gerade aus einer dunklen Spelunke geflüchtet und torkelt betrunken durch die Stadt. Als sie gerade erschöpft von ihren odyseehaften Spaziergängen (wenn man so will) auf einem Supermarktparkplatz hinter einer Altpapiertonne zu Boden sinkt, hört sie plötzlich eine vertraute Stimme. "Ich Dir iberall gesucht. Den ganzen weiten Weg bin ich gelauft. Endlich ich Dir gefunden, meine kleiner Süße." Irina blickt auf und erkennt im gleißenden Sonnenlicht eine Bekanntschaft aus der letzten Nacht: Es ist der Boogie-Woogie-Mann. Seine Lackschuhe glänzen unter einer dünnen Schicht Staub und zum ersten Mal erkennt sie die wunderbare Qualität und Verarbeitung seines italienischen (?) Maßanzugs. Er beugt sich zu Irina hinunter und packt sie am Arm. "Komme, meine kleiner Süße, alles wird werden gut jetzt du bei mir." Irina steht auf, hakt sich bei dem immer noch Fremden unter und versucht fieberhaft, ihre Erinnerungslücken zu schließen. Immerhin, sie kann sich entsinnen, diesem Mann in den vergangenen 24 Stunden begegnet zu sein. Wortlos schlendern die beiden über den Parkplatz, gelangen auf eine Straße und setzen sich schließlich in das Wartehäuschen einer Busstation. "Ich Dir jetzt zeigen meiner Freunde. Und ich dir geben besonderes Geschenk, Du nicht vergessen im Leben nie." Irina leht den Kopf an Boogie-Woogie-Manns Schultern, schließt die Augen und schlummert ein.

Zurück in Berlin:
"Ich lass mich scheiden!" Irina brüllt Molle an, der immer noch neben der Tochter hockt, und schleudert einen ihrer Schuhe in seine Richtung. "Ich wollts Dir nicht sagen, aber jetzt kann ich nicht mehr. Ich hab genug von Deinen Spinnereien - Biber?! What the hell..." Klaschenka dreht sich zur Mutter um, während Molle weiterhin stumm dasitzt und sich nicht weiter zu wundern scheint. "Was wolltest Du ihm nicht sagen?" Irina wendet sich der Tochter zu und spricht in ruhigem, aber bestimmtem Ton: "Erik hat mir einen Antrag gemacht. Erik hat ziemlich viel Kohle, das weiß ich, weil ich ne Zeit lang bei ihm gepennt hab... damals. Eigentlich liebe ich ihn nicht, ich liebe jemand anderen. Natürlich nicht Deinen Vater, aber ich liebe jemanden. Erik nicht. Aber Erik hat mir einen Antrag gemacht und jetzt werde ich ihn doch annehmen." Klaschenka versteht die Welt nicht mehr. Wovon redet die Mutter? "Wer ist Erik?" Klaschenka fixiert die Mutter mit eisernem Blick. Irina scheint innerlich gegen etwas anzukämpfen, es dauert einige Minuten, schließlich richtet sie sich auf, zupft sich nervös die Haare zurecht und sagt: "Lackschuhe." Dann nichts mehr. Keiner der vier spricht, niemand bewegt sich. Die Luft scheint zu brennen. Molle ähnelt immer mehr einem Biber als einem Menschen, Kolja und Klaschenka sitzen wie zwei Häufchen Elend auf einem öffentlichen Spazierweg im Berliner Zoo und wissen nicht mehr weiter. Irina beschließt, kein weiteres Wort zu verlieren - ihre Entscheidung steht fest . Mit verachtenden Blicken mustert sie ihren Noch-Ehemann, denkt zurück an jene Nacht, in der sie an der Schulter des Boogie-Woogie-Manns eingeschlafen ist, denkt an die Erlebnisse der darauffolgenden Wochen und beginnt leicht mit den Füßen auf den Boden zu trippeln. Aus einiger Entfernung ertönt ein schrilles Hupen - das Hirschgehge wird geöffnet. D
ie alljährliche Herbstmeisterschaft im Crossover-Nature-Minigolf Kategorie Speziell-Spezial beginnt. Das Minigolfkombinat wird nicht dabei sein.

Was ist mit Molle geschehen, was hat es mit den Bibern auf sich? Was ist zwischen dem Boogie-Woogie-Mann (Erik, wie jetzt bekannt ist) und Irina vorgefallen und welches unvergessliche Geschenk hat er ihr gemacht? Wie wird es im Berliner Zoo weitergehen, kann die Familie all diese mysteriösen Ereignisse verarbeiten und bewältigen? Bringt Boogie-Woogie am Ende böses Blut in die Minigolfharmonie? Das und eine Reihe anderer irrsinniger Fragen wird vielleicht beantwortet, wenn es wieder heißt: The Minigolf Family.

Montag, 5. Mai 2008

1.4 Phoenix aus der Asche

Ort: Vienna Minigolf City, Miniaturgolfanlage am westlichen Stadtrand
Zeit: Donnerstag, 4. Oktober 2007, Abenddämmerung

Die Familie hat nach Wochen intensiver Suche und Durchforstung sämtlicher Spelunken im Großraum Vienna Minigolf City die Suche nach Irina vor wenigen Tagen endgültig aufgegeben. Kolja weint unentwegt aufgrund des Verschwindens der geliebten Mutter, wenn er nicht gerade wieder bei Ebay Sportschuhe ersteigert hat - was für ihn inzwischen zu einem regelrechten Liebesersatz geworden ist - oder sich mit dem Vater im Bier-Wettsaufstreit befindet und sowieso nichts von seiner realen Umgebung mitbekommt. Klaschenka tröstet sich in der intensiven Pflege von Ivans rötlich braunen Fell und Molle tut das, was er auch sonst tun würde (weitere Ausführungen überflüssig) - Boris unterstützt ihn dabei.
Um sich langsam auf ein normales Leben ohne Irina einzustellen und wieder in den Alltag zurückzufinden, hat sich das Minigolfkombinat nach vielen Wochen nun endlich wieder zu einem Trainingsspiel zusammengefunden. Bewusst motiviert und konzentriert, ohne viele Worte miteinander zu wechseln, spielen sich Molle, Klaschenka und Kolja (Boris muss schon wieder/ immer noch für sein Medizinstudium lernen, Ivan schläft im Oktober viel und kann daher nicht anwesend sein) auf den ersten Bahnen der Anlage warm. Klaschenka ist gut dabei und setzt den Vater ordentlich unter Druck, was diesen zu vereinzelten Wutausbrüchen ermuntert, die er allerdings schnell wieder in literweise Bier ertränkt. Kolja hält sich im Hintergrund und scheint anstatt dem Training mehr mit seinem neuen Schläger beschäftigt, den er sich extra hat anfertigen lassen für eine Summe, von der der Vater einen Monat lang sein täglich Brot bestreiten muss. Die Stimmung kann als unterkühlt bezeichnet werden, ebenso das Wetter und der aufkommende Herbststurm. "Ich fühl mich müde, irgendwie depressiv, aber irgendwie auch voll dabei." Klaschenka säuselt vor sich hin und nimmt einen kräftigen Schluck Vodka aus dem Flachmann, den sie sich kunstvoll in ihren Gürtel geklemmt hat. Die anderen beachten sie eigentlich nicht, Molle ist an der Reihe und setzt zum nächsten Schlag an - seine Fußstellung gewohnt eigenwillig, die Hemdärmel aufgekrempelt, die Bierflasche unter den Arm geklemmt. Gerade als er seinen speedbananengelben Ball abschlagen will, trifft ihn ein harter Gegenstand aus sprichwörtlich heiterem Himmel auf den Kopf und er sinkt stumm zu Boden. Klaschenka und Kolja blicken sich um und eilen dem Vater zu Hilfe. Molle liegt ausgestreckt auf der Bahn, neben seinem Kopf ein verschmutzter Damenschuh, ehemals vermutlich schwarzes Leder, aber das kann nur vermutet werden. Kolja kniet sich zum Vater auf den Boden, während Klaschenka ihren Blick suchend über die Anlage schweifen lässt und die Herkunft des mysteriösen Schuhs zu klären versucht.
"Bam, oida! Hahaha, bam bam bam! Ich scheiß mich an, bam!" Aus der Hecke neben der Minigolfbahn tönt eine krächzende, heitere Frauenstimme. Und tatsächlich, und was für eine Begebenheit, und was für ein Anblick: Irina. Irina, die wochenlang unauffindbar und wie vom Erdboden verschluckt war, poltert auf allen vieren aus der Hecke hervor. In zerrissenen Jeans und einer verdreckten Wollweste, die ihr um zwei Nummern zu klein ist, mit nur einem Schuh an den Füßen kriecht sie auf die völlig verduzte Familie zu, zeigt mit ausgestrecktem Finger auf Molle und lacht hysterisch und ohne Unterlass. Klaschenka geht als erste auf die Mutter zu, unsicher, ob sie sich freuen oder einfach nur entsetzt sein soll. Tausend Fragen schießen der Tochter in dem Moment durch den Kopf, doch sie kann keine davon artikulieren. Während Molle sich nicht um das plötzliche und wunderliche Wiederauftauchen seiner Frau zu kümmern scheint und Kolja weiterhin mit weit aufgerissenen Augen auf dem Boden hockt und Irina ungläubig anstarrt, fasst sich Klaschenka ein Herz. Sie greift nach ihrem Minigolfschläger, stürmt auf die völlig durchgeknallte und weiter lachende Mutter los und brät ihr ordentlich eins über. Mit einem gezielten Schlag auf den Rücken streckt die Tochter Irina nieder, setzt sich wie ein triumphierender Reiter auf die flach am Boden Liegende drauf und drückt ihr den Schläger in die Rippen. "Du Freak! Du scheiß Freak! Wo warst Du? Du bist doch nicht wochenlang hier im Busch gesessen?!" Irina hat aufgehört zu lachen, kann aber aufgrund der Gewalttat nur schwer sprechen. "Aaszzhfff. Geh doch weg, Kinddd. ZZff." Der Mutter bröckelt ein Stück Wiese aus dem Mund, während sie versucht, sich aus Klaschenkas Geißelhaft zu befreien. Klaschenka drückt den Schläger noch etwas fester gegen den mütterlichen Rücken, bis diese nur noch wimmert und zu ersticken droht. In diesem Moment löst sich Kolja aus seiner eigenen ungläubigen Starre und zerrt die brüllende Schwester von der Mutter. Molle bleibt entspannt und mit geschlossenen Augen in seiner Position liegen.
Nach mehreren Minuten schafft es die zerlumpte Mutter endlich aufzustehen und sich erstmals wieder auf zwei Beine zu stellen. Etwas unsicher, gestützt auf den Schläger, den Klaschenka auf ihrem Rücken zurückgelassen hat, baut sie sich vor der Familie auf und lächelt. "Dann wollen wir mal spielen, reden können wir später immer noch, Oida!" Irina torkelt zu Molle und ermuntert ihn mit kräftigen Fußtritten in die Seite dazu aufzustehen. "Schatz, wir haben Training, steh auf und schlag ab!"
Paralysiert, überwältigt von den Ereignissen und vollkommen eingeschüchtert vom Befehlston der Mutter, machen alle, wonach Irina verlangt. Wortlos schleicht die Minigolf Familie zur nächsten Bahn und beginnt zu spielen - allen voran die offensichtlich der Realität entrückte Mutter. "Bam, bam... bam bam", Irina singt vergnügt vor sich hin und absolviert einen meisterlichen Schlag nach dem anderen. Nach wenigen Bahnen ist klar: Mama ist in Top-Form. So unglaublich es erscheinen mag und so erbärmlich sie in ihren dreckigen Lumpen wirken mag, sie spielt wie eine Göttin. Die anderen trauen ihren Augen nicht, Molle offensichtlich extrem irritiert vom außergewöhnlichen Spielstil seiner Frau murrt leise und unverständlich vor sich hin und versagt bei jedem Schlag ein bisschen mehr. Am Ende schließlich liegt Irina mit erstaunlichem Abstand vor allen anderen und entscheidet das Spiel klar für sich. Tänzelnd wie eine Mischung aus Prima Ballerina und asozialem Ghetto-Kid freut sich die Mutter über den grandiosen Sieg und feiert sich selbst mit den letzten Resten aus Klaschenkas Flachmann. Eine Erklärung für ihr wochenlanges Verschwinden, ihren desolaten Zustand sowie ihre eigentümliche Ausdrucksweise liefert sie nicht. Sobald eines der anderen Familienmitglieder versucht, sie auf irgendetwas anzusprechen, beginnt sie entweder hysterisch zu lachen oder weist die jeweils fragende Person mit einem bestimmten "Bombäää!" in die Schranken.
Nach rund einer halben Stunde des sich selbst Feierns und eigenartigen Im-Kreis-Tanzens, das mitunter mehr an ein Hüpfen erinnert, scheint die Mutter schließlich bereit zu sein, sich im Familienverband auf den Heimweg zu machen. "Ich muss schlafen, bringt mich in die Wohnung." Ohne noch einmal nachzuhaken nehmen Klaschenka und Kolja Irina bei den Armen, haken sich ein und führen die Mutter mit langsamen bedächtigen Schritten in Richtung ihrer Sozialwohngemeinschaft. Molle trottet mit etwas Abstand hinterher und spult mantraartig den immer gleichen Satz ab... "Was sagst Du, Papa?" Kolja dreht sich im Gehen zum Vater um. "Was sagst Du?" Molle murmelt weiter unverständlich den immer gleichen Satz. Nach einigen Minuten dreht sich Klaschenka zu ihm um und will fragen, was er zu sagen hat. Da brüllt Molle plötzlich ganz unaufgefordert und so laut als müsste er sich von einer schweren Last befreien: "Krocha! Sie war... Sie ist... nur die Krocha sind schuld daran!"

Was mag Molle mit seinem Ausbruch meinen? Welches Geheimnis steckt hinter Irinas Verschwinden und so wundersamen Wiedererscheinen? Und noch viel mehr: Wie um alles in der Welt konnte sie an diesem Tag nur so gut spielen? Was ist aus dem Lackschuhmann geworden und kann Boogie-Woogie vielleicht doch ein Ersatz für Minigolf sein? Diese oder ähnliche Fragen werden geklärt, wenn es wieder heißt: The Minigolf Family.

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