theminigolffamily

Eine moderne Soap-Opera um eine junge Großstadtfamilie, die sich ganz und gar einer elitären und unterschätzten Sportart verschrieben hat. Rund um den Lebensmittelpunkt Minigolf erleben die vier Hauptcharaktere Vater, Mutter, Tochter und Sohn den ganz normalen Wahnsinn des 21. Jahrhunderts.


Montag, 5. Mai 2008

1.4 Phoenix aus der Asche

Ort: Vienna Minigolf City, Miniaturgolfanlage am westlichen Stadtrand
Zeit: Donnerstag, 4. Oktober 2007, Abenddämmerung

Die Familie hat nach Wochen intensiver Suche und Durchforstung sämtlicher Spelunken im Großraum Vienna Minigolf City die Suche nach Irina vor wenigen Tagen endgültig aufgegeben. Kolja weint unentwegt aufgrund des Verschwindens der geliebten Mutter, wenn er nicht gerade wieder bei Ebay Sportschuhe ersteigert hat - was für ihn inzwischen zu einem regelrechten Liebesersatz geworden ist - oder sich mit dem Vater im Bier-Wettsaufstreit befindet und sowieso nichts von seiner realen Umgebung mitbekommt. Klaschenka tröstet sich in der intensiven Pflege von Ivans rötlich braunen Fell und Molle tut das, was er auch sonst tun würde (weitere Ausführungen überflüssig) - Boris unterstützt ihn dabei.
Um sich langsam auf ein normales Leben ohne Irina einzustellen und wieder in den Alltag zurückzufinden, hat sich das Minigolfkombinat nach vielen Wochen nun endlich wieder zu einem Trainingsspiel zusammengefunden. Bewusst motiviert und konzentriert, ohne viele Worte miteinander zu wechseln, spielen sich Molle, Klaschenka und Kolja (Boris muss schon wieder/ immer noch für sein Medizinstudium lernen, Ivan schläft im Oktober viel und kann daher nicht anwesend sein) auf den ersten Bahnen der Anlage warm. Klaschenka ist gut dabei und setzt den Vater ordentlich unter Druck, was diesen zu vereinzelten Wutausbrüchen ermuntert, die er allerdings schnell wieder in literweise Bier ertränkt. Kolja hält sich im Hintergrund und scheint anstatt dem Training mehr mit seinem neuen Schläger beschäftigt, den er sich extra hat anfertigen lassen für eine Summe, von der der Vater einen Monat lang sein täglich Brot bestreiten muss. Die Stimmung kann als unterkühlt bezeichnet werden, ebenso das Wetter und der aufkommende Herbststurm. "Ich fühl mich müde, irgendwie depressiv, aber irgendwie auch voll dabei." Klaschenka säuselt vor sich hin und nimmt einen kräftigen Schluck Vodka aus dem Flachmann, den sie sich kunstvoll in ihren Gürtel geklemmt hat. Die anderen beachten sie eigentlich nicht, Molle ist an der Reihe und setzt zum nächsten Schlag an - seine Fußstellung gewohnt eigenwillig, die Hemdärmel aufgekrempelt, die Bierflasche unter den Arm geklemmt. Gerade als er seinen speedbananengelben Ball abschlagen will, trifft ihn ein harter Gegenstand aus sprichwörtlich heiterem Himmel auf den Kopf und er sinkt stumm zu Boden. Klaschenka und Kolja blicken sich um und eilen dem Vater zu Hilfe. Molle liegt ausgestreckt auf der Bahn, neben seinem Kopf ein verschmutzter Damenschuh, ehemals vermutlich schwarzes Leder, aber das kann nur vermutet werden. Kolja kniet sich zum Vater auf den Boden, während Klaschenka ihren Blick suchend über die Anlage schweifen lässt und die Herkunft des mysteriösen Schuhs zu klären versucht.
"Bam, oida! Hahaha, bam bam bam! Ich scheiß mich an, bam!" Aus der Hecke neben der Minigolfbahn tönt eine krächzende, heitere Frauenstimme. Und tatsächlich, und was für eine Begebenheit, und was für ein Anblick: Irina. Irina, die wochenlang unauffindbar und wie vom Erdboden verschluckt war, poltert auf allen vieren aus der Hecke hervor. In zerrissenen Jeans und einer verdreckten Wollweste, die ihr um zwei Nummern zu klein ist, mit nur einem Schuh an den Füßen kriecht sie auf die völlig verduzte Familie zu, zeigt mit ausgestrecktem Finger auf Molle und lacht hysterisch und ohne Unterlass. Klaschenka geht als erste auf die Mutter zu, unsicher, ob sie sich freuen oder einfach nur entsetzt sein soll. Tausend Fragen schießen der Tochter in dem Moment durch den Kopf, doch sie kann keine davon artikulieren. Während Molle sich nicht um das plötzliche und wunderliche Wiederauftauchen seiner Frau zu kümmern scheint und Kolja weiterhin mit weit aufgerissenen Augen auf dem Boden hockt und Irina ungläubig anstarrt, fasst sich Klaschenka ein Herz. Sie greift nach ihrem Minigolfschläger, stürmt auf die völlig durchgeknallte und weiter lachende Mutter los und brät ihr ordentlich eins über. Mit einem gezielten Schlag auf den Rücken streckt die Tochter Irina nieder, setzt sich wie ein triumphierender Reiter auf die flach am Boden Liegende drauf und drückt ihr den Schläger in die Rippen. "Du Freak! Du scheiß Freak! Wo warst Du? Du bist doch nicht wochenlang hier im Busch gesessen?!" Irina hat aufgehört zu lachen, kann aber aufgrund der Gewalttat nur schwer sprechen. "Aaszzhfff. Geh doch weg, Kinddd. ZZff." Der Mutter bröckelt ein Stück Wiese aus dem Mund, während sie versucht, sich aus Klaschenkas Geißelhaft zu befreien. Klaschenka drückt den Schläger noch etwas fester gegen den mütterlichen Rücken, bis diese nur noch wimmert und zu ersticken droht. In diesem Moment löst sich Kolja aus seiner eigenen ungläubigen Starre und zerrt die brüllende Schwester von der Mutter. Molle bleibt entspannt und mit geschlossenen Augen in seiner Position liegen.
Nach mehreren Minuten schafft es die zerlumpte Mutter endlich aufzustehen und sich erstmals wieder auf zwei Beine zu stellen. Etwas unsicher, gestützt auf den Schläger, den Klaschenka auf ihrem Rücken zurückgelassen hat, baut sie sich vor der Familie auf und lächelt. "Dann wollen wir mal spielen, reden können wir später immer noch, Oida!" Irina torkelt zu Molle und ermuntert ihn mit kräftigen Fußtritten in die Seite dazu aufzustehen. "Schatz, wir haben Training, steh auf und schlag ab!"
Paralysiert, überwältigt von den Ereignissen und vollkommen eingeschüchtert vom Befehlston der Mutter, machen alle, wonach Irina verlangt. Wortlos schleicht die Minigolf Familie zur nächsten Bahn und beginnt zu spielen - allen voran die offensichtlich der Realität entrückte Mutter. "Bam, bam... bam bam", Irina singt vergnügt vor sich hin und absolviert einen meisterlichen Schlag nach dem anderen. Nach wenigen Bahnen ist klar: Mama ist in Top-Form. So unglaublich es erscheinen mag und so erbärmlich sie in ihren dreckigen Lumpen wirken mag, sie spielt wie eine Göttin. Die anderen trauen ihren Augen nicht, Molle offensichtlich extrem irritiert vom außergewöhnlichen Spielstil seiner Frau murrt leise und unverständlich vor sich hin und versagt bei jedem Schlag ein bisschen mehr. Am Ende schließlich liegt Irina mit erstaunlichem Abstand vor allen anderen und entscheidet das Spiel klar für sich. Tänzelnd wie eine Mischung aus Prima Ballerina und asozialem Ghetto-Kid freut sich die Mutter über den grandiosen Sieg und feiert sich selbst mit den letzten Resten aus Klaschenkas Flachmann. Eine Erklärung für ihr wochenlanges Verschwinden, ihren desolaten Zustand sowie ihre eigentümliche Ausdrucksweise liefert sie nicht. Sobald eines der anderen Familienmitglieder versucht, sie auf irgendetwas anzusprechen, beginnt sie entweder hysterisch zu lachen oder weist die jeweils fragende Person mit einem bestimmten "Bombäää!" in die Schranken.
Nach rund einer halben Stunde des sich selbst Feierns und eigenartigen Im-Kreis-Tanzens, das mitunter mehr an ein Hüpfen erinnert, scheint die Mutter schließlich bereit zu sein, sich im Familienverband auf den Heimweg zu machen. "Ich muss schlafen, bringt mich in die Wohnung." Ohne noch einmal nachzuhaken nehmen Klaschenka und Kolja Irina bei den Armen, haken sich ein und führen die Mutter mit langsamen bedächtigen Schritten in Richtung ihrer Sozialwohngemeinschaft. Molle trottet mit etwas Abstand hinterher und spult mantraartig den immer gleichen Satz ab... "Was sagst Du, Papa?" Kolja dreht sich im Gehen zum Vater um. "Was sagst Du?" Molle murmelt weiter unverständlich den immer gleichen Satz. Nach einigen Minuten dreht sich Klaschenka zu ihm um und will fragen, was er zu sagen hat. Da brüllt Molle plötzlich ganz unaufgefordert und so laut als müsste er sich von einer schweren Last befreien: "Krocha! Sie war... Sie ist... nur die Krocha sind schuld daran!"

Was mag Molle mit seinem Ausbruch meinen? Welches Geheimnis steckt hinter Irinas Verschwinden und so wundersamen Wiedererscheinen? Und noch viel mehr: Wie um alles in der Welt konnte sie an diesem Tag nur so gut spielen? Was ist aus dem Lackschuhmann geworden und kann Boogie-Woogie vielleicht doch ein Ersatz für Minigolf sein? Diese oder ähnliche Fragen werden geklärt, wenn es wieder heißt: The Minigolf Family.

1 Kommentar:

tartex hat gesagt…

Interessante und ausführliche Episode! Ich hätte nur die Rückkehr der Mutter ein wenig mit foreshadow an den Anfang gesetzt. So "Eine desolate Gestalt wankt unaufhaltsam dem Minigolfgelände entgegen. Die Familie ahnt nichts..." Oder ein wenig subtiler.

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